„3 Fragen zum Eigentum“ an Prof. Dr. Gregor Kirchhof
Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL.M., Universität Augsburg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht, Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht
In einer neuen Studie führen Sie aus, das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Klimaschutzentscheidung ein neues Rechtsinstitut entwickelt habe. Was genau hat das Gericht entschieden?
Das Gericht blickt in der Entscheidung in die Zukunft. Werden heute Weichen gestellt, die morgen sicher zu Grundrechtseingriffen führen, sind die Freiheitsrechte bereits jetzt zu wahren. Die neue „intertemporale Freiheitssicherung“ greift unter zwei engen Voraussetzungen. Erstens muss eine Entwicklung im Wesentlichen feststehen, die – wie die Erderwärmung – kaum korrigiert werden kann. Hinzutreten muss – zweitens – ein intertemporales „Budget“, das die Entscheidungen der Gegenwart mit der Zukunft wie in der Zeit kommunizierende Röhren verbindet. Der deutsche Gesetzgeber hat im Kampf gegen den Klimawandel CO2-Kontingente festgelegt, die gegenwärtig und zukünftig genutzt werden dürfen. Doch wer sich fortbewegt, wer heizt, Anlagen betreibt oder Gebäude errichtet, setzt Kohlenstoffdioxid frei. Nahezu jegliches Verhalten ist mit dem Ausstoß von CO2 verbunden. Dann aber begrenzen die Kontingente Freiheit und sind – das ist die Neuerung – bereits jetzt über Generationen hinweg gleichmäßig zu verteilen. Wir dürfen heute nicht CO2 in einem Übermaß emittieren, weil dann morgen auf deutlich mehr Freiheit zu verzichten ist. Letztlich geht es auch um eine Gleichheit in der Zeit.
Die Klimaschutzentscheidung befasst sich mit Umweltfragen. Sie argumentieren, der intertemporale Freiheitsschutz greife auch für die Sozialsysteme. Wie funktioniert das?
Die Sozialsysteme schützen Menschen in besonderen Situationen, wenn sie krank, pflegebedürftig oder im Alter auf Erträge angewiesen sind. Die Versicherungen sind von einer im Grunde unumkehrbaren Entwicklung – der Demographie – und einem intertemporalen Budget – der Umlagefinanzierung – geprägt. Die heute Berufstätigen finanzieren die Systeme unmittelbar. Werden Leistungen erhöht, müssen die Beiträge morgen steigen. Die Versicherungen steuern – wie die Erderwärmung – auf einen Kipppunkt zu, in dem drei Entwicklungen zusammenlaufen. Erstens werden die Beitragszahler weniger und die Leistungsempfänger mehr. Zweitens steigen mit der Lebenserwartung die Leistungsdauer und der Bedarf. Drittens werden die sog. Babyboomer von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern. Steuerfinanzierte Zuschüsse können Finanzlücken schließen, nicht aber die strukturellen Probleme lösen. Der intertemporale Freiheitsschutz verlangt daher, die Sozialsysteme bereits heute zu reformieren und möglichst weitreichend aus der Umlagefinanzierung zu führen.
Welche Folgen hätte eine Vernachlässigung der „intertemporalen Freiheitssicherung“ im Bereich des Haushaltsrechts?
Die intertemporale Freiheitssicherung greift als grundrechtliches Institut für die Staatsverschuldung nicht unmittelbar. Doch ist ihr Leitgedanke, die Generationengerechtigkeit, auch hier zentral. Die Staatsschulden haben in Deutschland und Europa Höchststände erreicht. Hinzu treten unübersichtliche Verbindungen im Euro- und Zentralbankensystem. Die Gesamtsituation ist heikel. Bereits deshalb überzeugt es nicht, öffentliche Kredite in einer Art Tauschgerechtigkeit zu rechtfertigen. Die nächste Generation soll – dies ist eine zentrale Erwägung von „Next Generation EU“ – heute Investitionen finanzieren, weil sie von diesen morgen profitiert. Dieser Tausch ist in der Vergangenheit nicht gelungen. Ohnehin fällt die Tauschbilanz gegenwärtig zum Nachteil der Zukunft aus, wenn die hohen Staatsschulden zu begleichen, die Infrastruktur zu modernisieren, Sozialsysteme zu erhalten und der Klimawandel zu meistern sind. Staatskredite sind möglich, wenn Sondersituationen wie eine Pandemie sonst nicht zu bewältigen sind. Aber auch dann sind die Schulden – anders als in Europa geplant – zeitnah zu begleichen. Der nächsten Generation sind gegenwärtig keine weiteren Bürden aufzuerlegen, sondern Freiräume zu schaffen.
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