Eigentum achten – Denkmäler erhalten
Alte Mauern und bewegliche Kulturgüter als stumme Zeugen einer fragwürdigen eigentumspolitischen Logik in den ostdeutschen Bundesländern nach der Wende – eine Perspektive eines Wiedereinrichters in Brandenburg. Der Autor Erimar von der Osten ist stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen e.V. und Wiedereinrichter in der Uckermark.
An vielen Ortseingängen kleiner Gemeinden in den östlichen Bundesländern überkommt Ortskundigen ein Schauer von Nostalgie: Noch vor wenigen Jahren stand da etwa ein alter Schafstall oder eine mit Efeu überwachsene Mauer, dahinter ein verwilderter Park. Der aus Feldsteinen errichtete Stall entsprach nicht länger den zweckrationalen Vorstellungen der Eigentümer. Das mochte die Kommune oder der Nachfolgebetrieb des örtlichen Volkseigenen Guts (VEG) bzw. der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) oder ein Investor aus dem Westen sein. Der heutige Eigentümer vermochte keinen Mehrwert in der Erhaltung alter Gemäuer und Gärten zu entdecken. Der alte Schafsstall wurde kurzerhand geräumt und mit ihm all das, wofür er stand: ein Stück Heimatgeschichte und ein Identifikationspunkt der örtlichen Bevölkerung. Ist das nicht der normale Lauf der Dinge, ob im Osten oder im Westen, universell auf der ganzen Welt?
Alte Landsitze, Feldsteingemäuer, aber auch Kopfsteinpflaster, Hecken und Feldweggehölze haben überall in Deutschland einen schweren Stand. Da kann es nicht überraschen, dass auch in den neuen Bundesländern über drei Jahrzehnte emsig abgetragen und gerodet worden ist, um Platz für Zweckbauten und neue Straßen zu schaffen. Effizienz und Wirtschaftlichkeit sind für Viele der Maßstab aller Dinge. Ein Jammer, ein Ärgernis, mahnen Denkmalpfleger, Landschaftsplaner und Naturschützer. Sie beklagen, dass ungeheure Schätze dem steten Modernisierungsdruck preisgegeben werden. Könnte die Inkaufnahme dieser Verluste in den neuen Bundesländern zu den vielen umstrittenen Folgen des Restitutionsausschlusses für die Betroffenen der bedingungslosen Anerkennung der sowjetischen Bodenreform im Einigungsvertrag und in Bezug auf die Eigentumspolitik in den neuen Ländern in den Jahren danach gehören?
Kaum einer hat den Verfall kultureller Schätze und damit auch der Ästhetik der Kulturlandschaften in den neuen Bundesländern als Folge einer verfehlten Eigentumspolitik so treffend nachgezeichnet wie der 2019 verstorbene Bruno J. Sobotka, Herausgeber der mehrbändigen Reihe: »Burgen, Schlösser, Gutshäuser«. In seiner Einleitung zum Band »Wiedergutmachungsverbot? Die Enteignungen in der ehemaligen SBZ zwischen 1945 und 1949« schreibt er: »Es ist bedrückend, wie sich der Zustand dieses reichen Kulturerbes in den neuen Bundesländern dramatisch verschlechtert. Einige Objekte, die von ihren Alteigentümern oder deren Nachkommen zurück erworben wurden, sind hervorragend saniert und restauriert worden. Bei der Rückgabe an Zwangsenteignete hätten zahlreiche Objekte gerettet werden können. So verrottet ein Großteil dieser wertvollen Bausubstanz, die sich heute im Besitz des Bundes, der Länder und von Gemeinden befindet.« Unzählige Zeugnisse belegen Sobotkas Annahme, dass dies wegen über Generationen gewachsener Bindungen, ortsspezifischem, kultur- historischem Verständnis und Rücksichtnahme weniger dort geschieht, wo betroffene Familien zurückgekehrt sind.
Hubertus von Dallwitz, ehemaliger Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft privates Denkmaleigentum, erinnerte daran, dass mit den Vertreibungen und Enteignungen der Landwirtsfamilien in der Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 diesen nicht nur die Existenzgrundlage genommen worden sei, sondern auch den Guts- und Herrenhäusern selbst. Den inzwischen denkmalgeschützten Bauten fehlten seitdem die sie erhaltenden land- und forstwirtschaftlichen Produktionsflächen, in deren Zentrum sie vor den Konfiskationen von 1945 standen. Die Denkmalpfleger vor Ort beklagten die unaufhaltsamen Abgänge leerstehender, verfallender Baudenkmäler der früheren Gutsanlagen. Beispielsweise seien von den im Jahr 2018 erfassten 990 Herrenhäusern in Mecklenburg-Vorpommern etwa 200 in einem mäßigen bis sehr schlechten Bauzustand gewesen. Davon seien 63 kaum noch oder nicht mehr zu retten gewesen. Auch der Bestand der dazugehörigen historischen Wirtschaftsgebäude habe sich seit 1990 gravierend verringert.
Aufgrund einer Bestandsaufnahme der Herren- und Gutshäuser im Land Brandenburg berichtete Ingrid Reisinger, dass von 927 erfassten Burgen, Schlössern, Herren- und Gutshäusern etwa ein Viertel leer gestanden und vom Verfall bedroht gewesen seien (Quelle: Prof. Dr. Sabine Bock, Schwerin, in »Herrenhäuser im Wandel der Zeiten«, Begleitheft zur Ausstellung der Stiftung Mecklenburg, Thomas Helms Verlag, 2011). Nach der Wiedervereinigung rühmte sich Bundesfinanzminister Theo Waigel in einem Haushaltsvermerk, die »unentgeltliche Abgabe von bundeseigenen Schlössern, Burgen, sakralen und kulturellen Bauten« an Länder und Kommunen ermöglicht zu haben. Dazu erläuterte er, ohne den Bezug zu den ehemaligen Eigentümern herzustellen: »Die kostenlose Abgabe bestimmter Objekte wie z.B. Burgen und Schlösser verfolgt einen an- deren Zweck. Der örtliche Bezug dieser Objekte ist meist stark ausgeprägt. Vielfach bestimmen sie das Ortsbild. Daher sollten die Gebäude der Stadt oder Gemeinde oder dem Land gehören, mit der oder dem das betreffende Bauwerk in Verbindung gebracht wird«. (Quelle: Waigel, Theo: Aspekte der Tätigkeit der Bundesfinanzverwaltung in den neuen Ländern, In: Sobotka, Bruno J. (Hrsg.): Wiedergutmachungsverbot? Die Enteignungen in der ehemaligen SBZ zwischen 1945 und 1949, Mainz 1998, S. 174 f.) Hier ist keine Rede von den Familien, die diese Schlösser, Burgen, Herren- und Gutshäuser vor 1945 gebaut, erhalten, erweitert und zu dem gemacht hatten, was sie auch nach dem Mauerfall und bis heute erhaltenswert und kulturell wertvoll erscheinen lassen. Kein Wort zu den Tragödien, brutalen Vertreibungen, Exekutionen und sonstigen Schicksalen, die sich 1945 in den steinernen Zeugen ereigneten. Waigel verfügte großzügig über kulturelle Schätze, die der Bundesrepublik 1990 zu treuen Hände zufielen und die ihr zuvor niemals gehört hatten.
Für viele finanzschwache Gemeinden wurden die alten Gemäuer eine Bürde, mit der mancher Gemeindevertreter am liebsten Tabula rasa gemacht hätte. Es waren und sind oft einzelne engagierte Bürger, die sich gegen den schleichenden Verfall der großen Bauern- und Gutshäuser, Schlösser und landwirtschaftlichen Hofanlagen wehren und diesen mit privatem Einsatz aufzuhalten suchen. Aus einem Gutachten des »Europäischen Zent- rums für Wirtschaftsforschung und Strategieberatung Schweizer Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos AG« ging bereits 1996 hervor, dass heim- kehrende Alteigentümer sich nicht nur in besonderem Maße an regionalen Projekten aktiv beteiligten, sozial und gemeinnützig engagierten. Sie trügen mit einer Fülle von Ideen und Initiativen wesentlich zur Belebung der Wirtschaft bei. Auch im Denkmalschutz und bei der Restaurierung von Kulturdenkmalen leisteten sie Vorbildliches. Sie würden Heimatstrukturen und Identifikationsmöglichkeiten für die Bevölkerung revitalisieren. Heute, 33 Jahre nach der Wiedervereinigung, nehmen wir wahr, dass sich diese Muster zivilgesellschaftlichen Engagements und Einsatzes für erhaltenswerte Baustrukturen einzelner Wiedereinrichter verstärkt haben.
Das Gegenmodell beschreibt Jörg Gerke, ein profilierter Kenner der Agrarstrukturen in den neuen Bundesländern. Wenn er bemängelt, wie die Eigentums- und Bodenpolitik seit der Wiedervereinigung zur Ausräumung der Landschaft, Bildung von ländlichen Wüstungen und Ausverkauf der Landwirtschaft an externe, überregionale Investoren geführt hat, wird zugleich deutlich, dass sich die agrarpolitischen Ziele nicht länger an dem Leitbild eines eigenverantwortlich geführten Familienbetriebes, sondern an den Vorstellungen nicht-ortsansässiger Investoren und der vormaligen DDR-Agrarnomenklatur orientieren (vgl. Gerke, Jörg; Nehmt und euch wird gegeben: Das ostdeutsche Agrarkartell. Bauernlegen für neuen Großgrundbesitz und Agrarindustrie; 2008.) Der Erhalt von Denkmälern war nie Teil dieses Modells.
Bewegliche Kulturgüter
Während die nachhaltigen Bemühungen der zum Verband der Familienbetriebe Land und Forst zählenden Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen (AfA) gegenüber der Bundesregierung, dem Bundestag, vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht verhindern konnten, dass alle Staatsgewalten zu Lasten einer Minderheit ein sogenanntes »Restitutionsverbot« für das während der sowjetischen Bodenreform konfiszierte Immobiliarvermögen der Alteigentümer Immobilien durchgesetzt haben, ist es gelungen, einen Anspruch der Alteigentümer auf Rückgabe ihres beweglichen Eigentums, namentlich von Kunstgegenständen und Kulturgütern, soweit sich diese in staatlichem Besitz befinden, durchzusetzen. Gemäß § 5 AusglLeistG sind Mobilien an die Alteigentümer zurückzugeben. Folgt man jedoch der eigentumspolitischen Logik einer Anerkennung der stalinistischen Vermögenskonfiskationen durch die Bundesrepublik im Zuge der Wiedervereinigung, verwundert es nicht, dass die Betroffenen in aller Regel keine oder nur geringe Unterstützung bei den notwendigen Recherchen, um den Verbleib ihrer konfiszierten Kunstgegenstände ausfindig zu machen, erhielten. In den Sammlungen von Museen und Archiven verweilen zahlreiche Werke, deren Herkunft als Raubkunst aus dieser Ära noch der Aufklärung harrt.
Einzelne Länder wie Sachsen-Anhalt und Sachsen leisteten mehr Hilfe als andere. Im Großen und Ganzen waren aber die Berechtigten auf sich gestellt und gerieten in einem von ihnen nicht verschuldeten Darlegungs- und Beweisnotstand. Die Bundesrepublik und die Länder höhlten den einst gewährten Anspruch § 5 AusglLeistG aus, indem sie es unterließen, ernstzunehmende Arbeitsstellen für Provenienzrecherchen zu finanzieren. Analog verhielt es sich im Hinblick auf die Wiedereinrichtung von Stiftungen. In den ländlichen Räumen waren viele Stifter zugleich Inhaber großer Betriebe.
Mit Blick auf den Fall »Gurlitt« hatte Staatsministerin Prof. Monika Grütters 2014 auf eine Passage aus der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD hingewiesen: »Die Restitution von Kunst- und Kulturgut, das von Behörden in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone/DDR den rechtmäßigen Eigentümern entzogen wurde, ist eine noch nicht abgeschlossene Aufgabe. Zur Klärung der Ansprüche früherer Eigentümer muss auch in diesen Fällen eine Provenienzforschung verstärkt werden.« Heute, knapp ein Jahrzehnt später, fällt die Bilanz sehr dürftig aus. Soweit der Autor erkennen kann, wurden diesem Unterfan- gen nur geringe finanzielle und personelle Res- sourcen zur Verfügung gestellt.
2017 fragte die Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen bei den Parteien an, inwieweit sie sich für eine gesetzliche Regelung, die die Deutsche Stiftung für Kulturgutverluste und die neuen Länder zu einer solchen Amtshilfe verpflichtet, engagieren wollten. Bis auf die Partei »Die Linke« sprachen sich zwar alle Parteien für die Rückgabe von Kunst- und Kulturgütern aus, wozu bereits eine gesetzliche Verpflichtung bestand. Während CDU/CSU und FDP eine Zusammenarbeit mit den Betroffenen »nach bestem Wissen und Gewissen« wünschten, forderten die Partei »Bündnis 90/Die Grünen«, die Aufarbeitung von Kulturgutverlusten in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR »zu verstärken und zu fördern«. Ferner sprachen sie sich für weitergehende gesetzliche Regelungen aus. Dabei ist es allerdings geblieben.
Im breiten Spektrum der deutschen Erinnerungskultur spricht Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die Opfer der SED Diktatur, die tiefe, durch die Enteignung der Landwirtsfamilien während der sowjetischen Bodenreform zwischen 1945 und 1949 gerissenen Wunden in ihrem Jahresbericht 2023 (Drucksache 20/7150, Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode) an. Diese Familien, über Jahrzehnte als »Klassen- und Volksfeinde« stigmatisiert, wurden Opfer eines rigorosen und ideologisch motivierten Raubzugs, dessen eigentumspolitische und sozialkulturelle Folgen bis heute spürbar anhalten. In ihrer beratenden Funktion unterstützt Frau Zupke Bundestag und Bundesregierung sowie andere Institutionen in der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit in der Sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR. Frau Zupke lässt die Geschichte dieses kommunistischen Raubes nicht in Vergessenheit geraten. Sie erinnert an das Leid jener, die infolge jener stalinistischen Maßnahmen ihrer Existenz beraubt und nach der Wiedervereinigung weitgehend vergessen wurden. In ihrem jüngsten Jahresbericht legt sie den Fokus auf die Bedeutung des schmerzhaften Verlustes von Kunst- und Kulturgut in jener Ära. Sie unterstreicht die dringende Notwendigkeit der Erforschung dieser Verluste, indem sie mit der ihr eigenen Tiefe und Präzision bemerkt: »die Entziehung des Kulturguts [stellt] weit mehr als einen finanziellen Schaden dar [], sondern ist verbunden mit einem Verlust eines Teils der eigenen Identität und einer mitunter vielschichtigen Repressionsgeschichte in der Familiengeschichte«. Ein Satz, der einen Kern ihrer Mission auf den Punkt bringt.
Wir bilanzieren: Die Auslöschung der Erinnerung an die vormaligen Inhaberfamilien land- und forstwirtschaftlicher Betriebe mag nicht immer explizites Motiv sein, wird aber in Kauf genommen. Hätte man diesen Familien ihre alten Häuser, Hofanlagen und Gärten unter Beachtung der schützenwerten Interessen der Bürger in den Dörfern und Städten zurückgegeben, wären viele Baudenkmäler dank starker emotionaler Bindungen und Privatinitiative zu retten gewesen. Die Politik jedoch zeigte wenig Neigung, diesen stummen Zeugen rechtswidrigen Handelns Beachtung zu schenken. Die Eigentumspolitik seit 1990 hat vielmehr dafür gesorgt, die Ergebnisse völkerrechtswidriger Maßnahmen festzuschreiben und in Kauf zu nehmen, dass die meisten Betroffenen nicht zurückkehren konnten. Die Kommunen haben nicht die finanzielle Kapazität, sich um die alten Gemäuer zu kümmern und heutigen Betriebsinhabern fehlt oftmals die gewachsene Bindung und das ortsspezifische, kulturhistorische Verständnis für Kulturgüter. Der Bund und die Länder haben es versäumt, die Rückgabe von Kulturgütern mit einer effektiven Amtshilfe auszustatten. Am Portal des Gerichtsgebäudes in Lucca findet sich die Inschrift ‚Cavete culpam tacendi‘: Hütet euch vor der Schuld des Schweigens. Es lässt sich vertreten, dass die Schuld des Schweigens auch auf den Vertretern der Legislative, Exekutive und Judikative lastet, denn sie sind es, die verfassungsrechtliche Grundsätze gewährleisten sollen.
Zur Erinnerung:
Die Bodenreformverordnungen wurden im stalinistischen Geist bereits im Sommer 1945 in den von der KPD/SED dominierten Provinzialverwaltungen formuliert und im September 1945 von ihnen erlassen. In der Folge wurden sie von den ebenfalls von ihnen geführten Kreisbodenkommissionen umgesetzt. Dies wird mit dem landläufigen Ausdruck „sowjetische Bodenreform“ ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass es sich nicht um eine „Reform“, sondern um die größte – auch damals schon völkerrechtswidrige – Binnenvertreibung in Deutschland handelte. Internationale Staatsrechtler sind mehr als erstaunt darüber, dass ausgerechnet die Bundesrepublik, ein freiheitlich-demokratisch verfasster Rechtsstaat, sich dieses stalinistische Unrecht 1990 im Zuge der Wiedervereinigung mit Billigung durch das Bundesverfassungsgericht zu eigen machte, um daraus fiskalischen Nutzen zu ziehen.
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